Alles würde besser, sagen sie, die Prämien billiger und Pflegende in Pflegeheimen brauchen keine Angst zu haben….

Die Arena von gestern hatte es in sich. Was ich da höre, beschäftigt mich sehr. Alles würde besser, sagen sie, die Prämien werden billiger und dann die Pflegeinitiative. Auch die Pflegenden in den Alters- und Pflegeheimen brauchen keine Angst zu haben.

Mein Pflegetag von gestern
Ich denke an den gestrigen Tag, als ich als Pflegefachmann in einem palliativen Wohnbereich für Demenzbetroffene gearbeitet habe. Ich hatte an diesem Tag den Lead. Praktisch heißt das, ich bin die Ansprechperson für meine drei Pflegemitarbeiterinnen und die zwei neuen Auszubildenden. Zusammen hatten wir die Aufgabe, 17 Bewohnerinnen durch den Tag zu helfen. Gestern war besonders, da eine unserer langjährigen Bewohnerinnen für immer einschlafen durfte. Es galt, die Angehörigen angemessen zu empfangen und sie so gut wie möglich zu begleiten. Gleichzeitig war es auch uns als Team wichtig Abschied zunehmen von einer Bewohnerin, die uns alle beeindruckt hat mit ihrem Wille trotz vielen Einschränkung sich selbst wirksam zu erfahren. Dazu kommen einige administrative Aufgaben, die erledigt werden müssen.

Leiten und Pflegen
Neben meiner Leitungsfunktion betreue ich fünf Bewohnerinnen. Gemäß meiner inneren Haltung weigere ich mich trotz wenig “Zeit”, eine Abhandlungspflege anzubieten. Mir ist eine personenzentrierte Pflege wichtig, die den Menschen und seine Entwicklung in den Mittelpunkt stellt.

Meine Prioritäten
Herr K. hat im Laufe seiner Demenzerkrankung eine hohe Körperspannung entwickelt und reagiert bei Überforderung mit körperlicher Aggression. Ich nutze die zur Verfügung stehende Zeit, um ihn in meine pflegerischen Handlungen einzubeziehen, auch wenn das bedeutet, Abstriche bei der Körperpflege zu machen.

Herr F. ist am Ende seiner Lebensreise angelangt. Trotz guter Schmerzmedikation ist es mir wichtig, während der Unterstützungen, die ich ihm anbiete, seine Beteiligung zu suchen. Dies gelingt vor allem während der Unterstützung beim Essen und Trinken.

Frau M. reagiert nach einem Sturztrauma mit Spitalaufenthalt auf jede Interaktion mit Abweisung und Körperspannung. Ich suche nach Möglichkeiten, mit ihr zusammen Wege zu finden, die sie mitgestalten und verstehen kann. Das braucht Zeit und große Kreativität.

Frau F. hat eine Herausforderung beim Laufen und ist daher stark sturzgefährdet. Ich entscheide mich, mit ihr zusammen den Weg an die Bettkante zum Aufstehen zu nutzen, um daraus eine wirkliche Vorbereitung für die Förderung des Laufens zu gestalten.

Neben diesen vier Bewohnerinnen, die ich betreuen durfte, kam eine Notsituation bei einer anderen Bewohnerin dazu, die wir analysieren und danach die Interventionen durchführen mussten. Das ist aber noch lange nicht alles, was ich an diesem Tag zu tun hatte.

Ich hätte gekündigt, wenn da nicht….
Mit meinen 40 Jahren Pflegeerfahrung brachte dieser Tag einige stressige Momente mit sich. Eines weiß ich: Hätte ich nicht ein gefestigtes Entwicklungsparadigma für mich und meine Bewohnerinnen, würde ich diesen Job auf keinen Fall weiter machen. Dass ich diesen Tag als Herausforderung annehmen kann, hat auch mit meinem Mut zu tun, die Dinge zu tun, von denen ich denke, dass sie meinen Bewohnern und mir helfen. Das heißt, den Moment zu gestalten und gemeinsam das Beste zu suchen. Es bedeutet auch, ohne schlechtes Gewissen bürokratische Dinge liegen zu lassen. Vermutlich wäre ich bei vielen Pflegeexamen durchgefallen. Vielleicht hätte ich aber auch Glück gehabt und Experten um mich gehabt, die wirklich verstehen, was es heißt, präventions- und ressourcenorientiert mit den vorhandenen Mitteln umzugehen. An jenem Tag war definitiv die Zeit eine Herausforderung.

Selbstwirksamkeit ermöglichen
Darum zählen für mich jene Momente, in denen ich eine Sekunde auf die Reaktion von Herrn H. gewartet habe, die Momente des Suchens, in denen Herr F. meinen Arm steuern konnte und so mitbestimmen konnte, wie viel er trinken will. Oder Frau M., mit der ich nach langem Suchen herausfinden konnte, wie sie ihr Gewicht in der Seitenlage selbst organisieren konnte, sodass ich ihr Becken nach allen Regeln der Fachkunst pflegen konnte. Oder der Moment mit Frau H., als wir an der Bettkante saßen und gemeinsam einen Kaffee tranken.

Zurück zur Arena-Sendung:
Alles wird besser, die Prämien werden nicht steigen und dank der Pflegeinitiative wird auch die Langzeitpflege keine Angst haben müssen. Martha Lehmann bringt es auf den Punkt mit ihrer engagierten Stellungnahme für den Pflegeberuf. Ihre Ausführungen zur Pflegearbeit haben gut aufgezeigt, in welche problematische Situation wir laufen, wenn durch irgendwelche Gesetze und deren Umsetzung nicht die reale Situation von Pflegefachkräften verbessert wird. In der Pflege wird nämlich nicht nur gestorben, sondern auch gesuhlt, erbrochen, geweint, Pflege verweigert, Schmerzen bekämpft usw. Wenn weiter mit der bürokratischen Abrechnung hantiert wird, die auf einer reinen Scheinwelt basiert, und die Kantone weiter die Qualität solcher Tage in Form von Zahlen und Prozenten messen, werden noch viele Pflegende aussteigen.

Ausser
Außer sie haben den Mut, jeden Tag aufs Neue ihre Profession über alles zu stellen und zusammen mit ihren Bewohnerinnen den Tag so zu gestalten, dass aus den Begegnungen eine Entwicklung der Ressourcen möglich wird. Nur so entsteht die Erfahrung von Respekt und Wertschätzung im Beruf.

Die Kunst der Pflege durch Geschichten weitergeben

Geschichten zu erzählen ist die einzige Möglichkeit, die Kunst der Pflege wirklich weiterzugeben. Darin zeigt sich die Qualität, wie Berufsleute unter schwierigsten Bedingungen ihr Handwerk, ihr Fachwissen und die fortlaufende Beziehungsgestaltung zu den Menschen, die sie vor sich haben, gestalten. Gleichzeitig behalten sie im Hinterkopf, was alle anderen Patienten brauchen, für die die Pflegefachpersonen im Moment die Verantwortung tragen.

Wie wäre es, wenn wir in der Kommentarfunktion passende Pflegediagnosen und Kinaesthetics-Forschungsfragen sammeln würden? Ich freue mich auch über andere Fragen oder Beiträge.

Erich Weidmann

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