Es passiert immer etwas; oder warum Verantwortung und eigene Fragen zusammen gehören
Wir Pflegende treffen uns zu einer Fallbesprechung und merken schnell, dass der Fall ein Mensch ist. Ein Mensch, der sein Leben gelebt und gestaltet hat und dabei zu dem Menschen geworden ist, den wir – jeder von uns – sieht und begleitet. Wie immer, wenn wir uns um einen anderen kümmern, müssen wir erkennen, dass jeder von “ich” spricht und dabei den Fall meint. Der Mensch hinter dem Fall zeigt sich uns jedoch so facettenreich anders! So, dass vielleicht Demenz zutrifft, aber auch Abhängigkeit durch kaputte Gelenke, Schmerzen, sensible Haut, Sturzgefahr, Ruhelosigkeit und verbale Lautstärke. Belastend für… ja, für wen eigentlich?
Gemeinsam formulieren wir ein Ziel: Begegnungen zu schaffen, die Frau Lüder helfen, sich in ihrer Haut wohlzufühlen.
Fünf Tage später
Die Tür öffnet sich, und vor mir steht Marlies, in Stiefeln und Plastikmantel. Ich erschrecke mich, denn ich weiß, sie unterstützt Frau Lüder beim Duschen. Besorgt frage ich: “Brauchst du Hilfe?” Sie strahlt und sagt: “Nein, hast du Zeit? Das musst Du sehen.” Tatsächlich sitzt die demenzbetroffene, schmerzgeplagte und unruhige Frau Lüder, die sich in ihrer Haut so unwohl fühlt, im Bad auf dem Duschstuhl, hält die Brause mit einem feinen Duschstrahl und duscht sich mit langsamen, genussvollen Bewegungen. Marlies meint: “Das macht sie seit Minuten.” >>>Selbstwirksamkeit
Verantwortung übernehmen
Später frage ich Marlies, wie sie darauf gekommen ist, Frau Lüder so ganz alleine sitzen zu lassen. “Ich begann ihr zu helfen und sie sagte: ‘So schrubbst du mich heute?’ Da sah ich die Chance, sie selbst machen zu lassen, und tief in mir wusste ich, sie kann das.” Beim weiteren Unterstützen hat sich Frau Lüder sogar nochmals bedankt für diese gute Zeit.
Lernen und Vertrauen
Mir wird bewusst, dass bei unserem Fall und dem Menschen dahinter, vermutlich schon sehr viel passiert ist. Zum Beispiel während des Geschrubbtwerdens. Ich lerne, zu vertrauen, dass wir Pflegende im Moment suchen können was hilfreich ist. Das hilft dem demenzbetroffenen, sturzgefährdeten, schmerzgeplagten und unruhigen Menschen wirklich, sich in der eigenen Haut wohlzufühlen. Ist das der Fall, ist Pflege das Schönste auf der Welt.
30.9.24 Erich Weidmann
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