Festgefahren im alten Denken

Buchbesprechung  Veröffentlicht in der Zeitschrift Lebensqualität Dez.2017

Nicht die an Demenz erkrankten Menschen sitzen in der Falle, sondern die ganze Gesellschaft. Das ist die These, die Gerald Hüther in seinem Buch «Raus aus der Demenz Falle!» vertritt. Er führt die Krankheit darauf zurück, dass wir in einer Welt leben, die nicht so ist, wie sie sein sollte. Und er sieht konkrete Auswege aus der Falle. 

Demente Theorien

Im Jahr 1906 entdeckte der Psychiater und Neuropathologe Alois Alzheimer, dass sich etliche von ihm untersuchte Gehirne, die vor ihrem Tod verwirrten Menschen gehörten, in einem desolaten Zustand befanden. Seit diesem Moment versuchen ForscherInnen der demenziellen Krankheit auf die Spur zu kommen. Bislang ohne Erfolg. Erfolgreicher erweisen sich nun aber einige Erkenntnisse über den Abbauprozess im zentralen Nervensystem, der durch bildgebende Verfahren bei demenzerkrankten Menschen beobachtet werden konnte. Diese Erkenntnisse sind so erfolgreich, dass der beobachtbare Abbauprozess als Ursache und nicht als Folge der Krankheit verstanden wird. Der Autor analysiert die derzeit weitverbreiteten Demenzvorstellungen und kommt zum Schluss: «Auch Theorien können alt und dement werden» (Hüther 2017, S. 21).

Die Nonnenstudie

Irritiert wurden die DemenzexpertInnen, als der Forscher David Snowdon durch postmortale Untersuchungen nachweisen konnte, dass die Gehirne von Nonnen unterschiedlicher Klöster, die während ihres Alterns keinerlei Demenzsymptome aufwiesen, über ebenso viele degenerative Veränderungen verfügten wie die der restlichen Bevölkerung. Mit anderen Worten: Demenz entsteht nicht wegen der so oft schuldig gesprochenen Plaques im Gehirn. Für das Verhalten von Demenzbetroffenen muss es andere Gründe geben.

Unsere Welt passt nicht

Hüther macht sich auf die Suche nach den Wirkungszusammenhängen, die zu Demenz führen. Er findet diese nicht beim Individuum, sondern in den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. So sind die Lebensbedingungen der Nonnen und diejenigen der übrigen Gesellschaft sehr verschieden. Die Letztere verhindert nach Ansicht des Autors, dass viele ihr angehörende Menschen nicht so leben können, dass sie die in ihnen angelegten Talente und Potenziale entwickeln können. Hüther schließt daraus: Demenz entsteht, wenn Individuen in einer Welt leben, die nicht so ist, wie sie für sie sein sollte. Wenn Menschen sich als Objekte fühlen, verlieren sie die Freude am Lernen, am Leben und die Folge kann Demenz sein. Wenn sich Menschen nutzlos fühlen, ist das auch das Ende der Anpassungsfähigkeit und Plastizität des Nervensystems.

Es gibt Hoffnung

Trotz aller Gesellschaftskritik sieht sich Hüther nicht als Revolutionär. Aber er fordert, dass wir unser Zusammenleben überdenken. Wir brauchen eine Gesellschaft, in der wir ohne Angst leben können; in der wir verbunden sind und uns frei entwickeln können; in der Freude und Glück vor der wirtschaftlichen Überlegenheit gegenüber anderen Ländern stehen. Und er ist hoffnungsvoll und überzeugt: Der große gesellschaftliche Wandel in Richtung einer erfüllteren, zufriedeneren und gesünderen Lebensweise ist voll im Gange.

Fazit

Es handelt sich um ein Buch, das anregt, beim Lesen Freude macht, herausfordert, Denkmuster umstößt und das die Frage stellt, wie die Welt sein müsste, damit sie so ist, wie sie sein sollte. Ein Buch, das leicht zu lesen ist, komplexe Zusammenhänge mit passenden Bildern beschreibt und dabei hilft, Grundannahmen zum Thema Demenz zu verfeinern. Ein Buch gegen das Schreckgespenst «Alzheimerkrankheit ».

 

Autoren Schreibwerkstatt : Erich Weidmann / Stefan Knobel

 

Bibliografie: Hüther, G. (2017): Raus aus der Demenz-Falle! Wie es gelingen kann, die Selbstheilungskräfte des Gehirns rechtzeitig zu aktivieren. Arkana, München. ISBN 978-3-442-34209-9.   Leseprobe     Buch bei Ex Libris