Stellung nehmen – geben? Angehörige klagen an

https://www.srf.ch/sendungen/kassensturz-espresso/kassensturz/alterspsychiatrie-angehoerige-klagen-an-unwuerdiger-umgang-mit-demenzkrankem-vater

Mittwoch, 25.1.2023. Ich öffne die SRF News App, «Angehörige klagen an – Unwürdiger Umgang mit Demenzkrankem».  Sie verstehen sicher, dass mich als Leiter eines Demenzwohnbereichs, dieser Titel anspringt und das Lesen mich herausforderte und auch überforderte.  Diese Zeilen entstanden Tage später….

Die Situation ist zum Verzweifeln

Betroffen sein 1

Eines vorweg, diese Angehörigen hatten Mut an die Öffentlichkeit zu gelangen. Die Situation ist zum Verzweifeln und gehört aufgearbeitet. Gleichzeitig bin ich mir den vielen ähnlich gelagerten Situationen bewusst, die jeden Tag in der Betreuung von demenzbetroffenen Menschen entstehen. Diese werden mehr oder weniger passend in den jeweiligen Institutionen resp. in den Teams direkt gelöst.

Das alles hilft mir und meinen vielen Berufskolleginnen nicht wirklich.

Presse

Presse presst, auch wenn die Berichterstattung vermutlich sehr differenziert vor bereit wurde, es entsteht Druck. Einem Muster folgend werden die Hintergründe recherchiert. Menschen vor die Kamera gebeten. Statements eingeholt. Stellungsnahmen erbeten, gegeben und verweigert. Das alles hilft mir und meinen vielen Berufskolleginnen nicht wirklich. Denn jeden Tag sind wir mitbeteiligt an Interaktionen in denen demenzbetroffene Menschen  und ich  (wir) kein passendes aufeinander zugehen finden.

Betroffen sein 2

«Ein Pflegefachmann ist ausgestiegen. Er konnte es nicht mehr mit seinem Gewissen vereinbaren, für die Bewohnerinnen und Bewohner im Pflegeheim keine Zeit zu haben.» So zitiert SRF. Ich in meiner Rolle treffe am Morgen nach der Ausstrahlung, eine meiner MitarbeiterInnen. Mit 55 Jahren hat sie sich entschieden vom Hotelgewerbe in die Pflege zu wechseln. Sie hat den Bericht auch gesehen und sagt zu mir «Erich, wir geben doch unser Bestes». Die Pflegeexpertin sieht den Notstand in der Tatsache, dass zu wenig ausgebildetes Personal da sei. Meine Mitarbeiterin hat keine Fachausbildung, aber gibt sich ein und sie ist in der Lage ihr eigenes Handeln zu hinterfragen. «Erich wir geben doch unser Bestes»! Ich bin erschüttert, denn sie ist noch da! Der Pflegefachmann leider nicht.

Dass diese Situationen fast immer in der Unterstützung der Körperhygiene, etc.  auftreten ist auch klar.

Betroffen sein 3

Es gibt viele Experten! Was mich betroffen macht ist die Tatsache, dass diese dann vor die Kamera geholt werden, wenn es wieder mal so richtig daneben geht. Ich arbeite seit 1982 in der Pflege. Das Menschen die ihr Leben mit einer Demenz meistern unsere Handlungen nicht immer nachvollziehen können und durch unterschiedliches Verhalten darauf reagieren ist nichts Neues. Dass diese Situationen fast immer in der Unterstützung der Körperhygiene, des Kleidens, des Essen und Trinkens und bei allen verschiedenen Mobilisierungen auftreten ist auch klar. Ich staune darüber, dass es nicht bekannt zu sein scheint, dass genau diese Aktivitäten vom sogenannt «nicht ausgebildeten» Personal unterstützt werden. Währen dem Pflegefachpersonen den alltäglichen Dokumentationswahn hinter sich bringen, Medikamente vorbereiten, unnütze Betäubungsmittel Listen führen, Sturzprotokolle ausfüllen und verschiedenste feste Termine planen, vorbereiten und durchführen.

Liebe Pflegeexpertinnen lasst und auf diese strukturellen Themen schauen und die Geschichte von besser ausgebildet für einen Moment vergessen….

Danke Fr.H., dass Sie mit uns diesen Weg gehen!

Dank an eine Stellvertreterin (*Namen verändert)

Mit diesen Zeilen bedanke ich mich bei allen Angehörigen die Suchend mit uns unterwegs sind. Die aushalten, mittragen und sich mit uns freuen an den kleinen Schritten, die den Betroffenen Menschen helfen, das Leben mit Demenz zu leben.

Morgens um 0625 Uhr betrete ich den Wohnbereich auf dem Menschen mit Demenz leben. Beim Eintreten höre ich ein mir unbekanntes Schreien. Mein Arbeitskollege, der die Nacht gearbeitet hatte, sagt «der neu eingetretene Herr, keine Chance ihn zu beruhigen. Hr. H. hat eine Demenz und hat in den vergangenen Wochen eine Odyssee durch die Hochleistungsmedizin im wahrsten Sinne überlebt. Seine Frau wurde viel gefragt und sie musste (ver-)antworten. Wir suchten nach Möglichkeiten Hr. H. passend zu pflegen und zu betreuen. Wir fanden diese auch! Körperlich erholte sich Hr. H zusehend. Er konnte wieder aufstehen, selbst gehen, selber Essen und sich auch sonst in vielem mitbeteiligen. Die Medikamente zur Ruhigstellung konnten wir stark reduzieren! Eine wahre Freude!

Veränderung

Die wieder gewonnene Energie brachte Verhaltensveränderungen mit sich, die sich in den Begegnungen mehr und mehr als aggressive Ablehnung in Form von schlagen und zuweilen beissen zeigte. Dies führte dazu, dass wir Hr. H. immer öfters nicht so pflegen konnten wie er und ihre Angehörigen das zurecht erwarten konnten. Nein schlimmer noch! Die Angehörigen trafen ihren Liebsten in Situationen an, die eine sprichwörtliche Zumutung waren. Wir Pflegenden standen dieser Abwehr oft ohnmächtig gegenüber. Frau H. war da die Einzige, die in diesen Situationen Beziehung zu ihrem Mann aufnehmen konnte. Sie hat viele Gründe nicht zufrieden zu sein! Weil in solchen Situationen niemand zufrieden sein darf!

Danke Fr.H., dass Sie mit uns diesen Weg gehen! Danke, dass wir gemeinsam weitersuchen, was Ihrem Mann hilft, die Begegnungen mit uns allen auszuhalten. Wir wünschen uns Allen, dass Hr. H. sein Leben mehr und mehr in Würde gestalten kann.

Wenn Pflege an die Haut und manchmal «unter die Haut» geht

Wie wäre es, wenn

Markus Leser* oder seine Nachfolgerin einmal pro Woche an der Basis mit pflegt? Wenn sich der Heimverband für Arbeitsbedingungen einsetzen würde die Pflege im Vordergrund stellt? ( MIQUEL und seien Freund lassen grüssen)

Wie wäre es, wenn viele Pflegeexperten Ihre Studien auf das lenken, was jeden Tag in der Pflege stattfindet. Pflegealltag der oft mit unterbestand von MitarbeiterInnen stattfindet. Wenn sie beobachten, beschreiben und studieren würden, was den MitarbeiterInnen und BewohnerInnen hilft diesen Alltag zu gestalten und nicht abzuarbeiten? Sie kennen diese Situationen, wenn Pflege an die Haut und manchmal «unter die Haut» geht zu leisten ist. Pflege in der die Anpassungsleitung, von Pflegenden von grösster Bedeutung sind, Pflege die leider nicht gemessen und gezählt werden kann sondern im Moment beobachtet und beschrieben werden kann und mit Ihrem Wissen analysiert und in Zusammenhang gebracht werden kann.

Februar 2023

Erich Weidmann