«Fortbewegung clever unterstützen – ein Gespräch über die Umsetzung der Präventionskampagne „Cleverer Transfer“»


Beim Cleveren Transfer erleichtern Hilfsmittel die Arbeit in der Pflege und Betreuung und reduzieren die körperliche Belastung. Dies aber nur, wenn die Hilfsmittel systematisch und sachgerecht eingesetzt werden. Quelle Suva

Die Herausforderungen in den Schulungen des Cleverer Transfer Modul 1 und Cleverer Transfer Modul 2 liegen  im Verständnis, dass die Hilfsmittel nicht nur systematisch und sachgerecht eingesetzt werden können und die Wirkung von den Menschen ausgeht, die sie einsetzen. Nach einem Workshop waren Barbara Meier Spezialistin für Kinästhetik und Erich Weidmann im Austausch. In diesem Beitrag können sie lesen, welche Erkenntnisse die Beiden entwickelt haben.

Diese Gespräch auf YouTube anschauen>>> 

 

Barbara Meier: Wir haben gemeinsam den ersten Workshop «Cleverer Transfer» in einer Grundkursausbildung aus der SUVA-Präventionskampagne gestaltet. Du hast dabei den Workshop unbenannt. Warum?

Erich Weidmann: Ja, denn der Titel «Cleverer Transfer» bringt die Beteiligung des Gegenübers nicht zum Ausdruck. Darum finde ich diesen Titel nicht so clever. Wie Du schon gesagt hast, es war wirklich das erste Mal, dass ich für den Workshop einen Begrüssungsflipchart gestaltet habe. Ich war gehemmt diesen Titel zu verwenden. Spontan kam mir die Idee den Workshop «Fortbewegung clever unterstützen» zu nennen. Diese Idee hat mich richtig motiviert. Du warst dabei, wie hast du den Workshop erlebt?

Der Rollstuhl bekam seinen Platz als Mittel, welches  durch Menschen clever eingesetzt wird.

Sind Rollstühle Hilfsmittel?

BM: Was mich überrascht hat war deine Einstiegsfrage! Diese lautete: «Sind Rollstühle Hilfsmittel!» Die Auseinandersetzung mit dieser Frage hat von Anfang an ermöglicht, mit den TeilnehmerInnen in eine Diskussion zu kommen. Was bedeutet das Wort Hilfsmittel beim Rollstuhl?. Wir waren uns ziemlich einig, nämlich rollen.

EW: Inzwischen habe ich diesen Workshop noch einige Male gestaltet. Die Frage: „Ist ein Rollstuhl ein Hilfsmittel?“ Habe ich jedes Mal gestellt. Sie wird im ersten Moment von fast allen Teilnehmer*innen mit Ja beantwortet. Stelle ich daraufhin die Frage nach dem Warum? Sofort ändern sich die Gespräche. «Wenn wir den nur schieben, sind wir nicht ressourcenorientiert» etc. Die Cleverness der Pflege hat seinen Platz! Das Mittel, kann nur durch den Menschen clever eingesetzt werden. Dabei ist ein Verständnis und eine Auseinandersetzung die Voraussetzung damit beide Teilnehmer ihre Fähigkeiten einsetzen können.

Cleverer Transfer - hilft das Mittel?

Cleverer Transfer – hilft das Mittel?

BM: Mir ist aufgefallen, dadurch, dass Du das Wort Mittel in den Vordergrund gestellt hast, wurde uns bewusst, dass nicht das «Ding», sondern der Umgang der Pflegenden und Menschen mit Beeinträchtigungen damit entscheidend sind, ob es hilft sich weiterzuentwickeln und gesund zu bleiben. Oft ist man versucht die Wirkung und Analysearbeit an ein Hilfsmittel zu delegieren. Im offiziellen Signet der Kampagne «Cleverer Transfer» haben alle Teile den gleich großen Platz erhalten. Das widerspricht unserer Annahme der individuellen Entwickelung, auch dass ein Hilfsmittel oft nur eine bestimmte Zeit eingesetzt wird, um das Lernen zu erleichtern.

EW: Salopp gesagt, man schreibt dem Hilfsmittel eine gewisse Intelligenz zu, aber das Mittel ist neutral, es ist ein Ding. Dieses kann bewirken, dass Menschen sich entwickeln können, dass Pflegende auf sich achten können und dadurch weniger Belastung während der Arbeit erfahren. Das Mittel hilft mir als Pflegender also dann, wenn ich meine «Schwachstellen» in mir beachten und gleichzeitig die Ressourcen des Gegenübers fördern kann. Dies braucht wie schon gesagt die Cleverness (Bewegungskompetenz) der Menschen. Ich plädiere dafür nur noch von Mitteln zu sprechen, verbunden mit den Fragen:

  • hilft das Mittel ressourcenorientiert zu interagieren
  • hilft das Mittel präventionsorientiert zu interagieren
cleverer Transfer reflektieren und entwickeln

Reflektieren und sortieren

EW: Du hast eine Zusammenfassung des Workshops verfasst. Warum?

BM: Ich habe diese geschrieben, da es mir hilft mich zu reflektieren und zu sortieren. Ausserdem entwickle ich dadurch, meine eigene Spur um andere anleiten zu können. Nur wenn ich mich mit einem Thema auseinander setze, wird mir bewusst, warum ich es so mache, wie ich es mache. Neue Möglichkeiten und Sichtweisen werden möglich.

EW: Du hast die Idee aufgenommen, dass ein Rollstuhl die meiste Zeit ein Stuhl ist. In diesem Stuhl sollen Menschen gut essen, oder gut ruhen können. Das war für mich an jenem Nachmittag eine wichtiges AHA- Erlebnis! Es geht nicht nur darum Fortbewegung clever zu unterstützen, sondern die Bewegung generell!

BM: Dazu haben wir die Konzeptblickwinkel «Sinne» und „Massen -Zwischenräume“ gewählt. Dazu haben wir das Mittel Stuhl mit einfachen «Brettern» verändert und uns die Frag gestellt, welche Aktivität diese Veränderung erleichtern würde. Dabei haben wir Unterschiede bemerkt zwischen der Aktivität «Essen und Trinken» und „Ruhen“. Diese Art zu forschen, hilft uns alltägliche Aktivität in den Vordergrund zu holen und diese besser zu verstehen. Gleichzeitig ist die Erfahrung möglich, dass die Analyse das hilfreiche ist und letztlich nicht das Hilfs-Mittel.

Cleverer Transfer - hilft das Mittel?

Sprache ist ein Mittel – die durch Menschen clever genutzt wird

EW: Ja, genau so lernen wir die Cleverness dahin zu bringen, wo sie hingehört. Nämlich zu den Betroffenen und zu den Pflegenden. Für mich als Kinaesthetics Trainer wird es wichtig sein, die Analyse der Bewegung in dieser Kampagne in den Vordergrund zu stellen. Das heisst, ich werde weiter daran arbeiten «Fortbewegung clever zu unterstützen» und so mit Leidenschaft an dieser breitaufgestellten Kampagne zu arbeiten.

Was mich an der Aufbereitung durch Kinaesthetics Schweiz sehr freut, ist das Online Tool. Die Teilnehmerinnen bereiten sich darauf für den Workshop vor. Was darauf bearbeitet und geschrieben wurde ist sensationell. Es hat mir grossen Eindruck gemacht wie die Grundkursteilnehmer*innen sehr treffend ihre Erfahrungen beschreiben konnten.

BM: Oft wurde mir gesagt, dass Grundkurs Teilnehmerinnen diese sprachlichen Möglichkeiten nicht hätten. Jetzt konnte ich feststellen, wie treffend die Beschreibungen waren und wie diese Auseinandersetzung und dadurch der Austausch im Workshop eingesetzt werden konnte. Die Sprache ist auch ein Mittel. Es ist clever, wenn daraus sich mehr und mehr eine Fachsprache entwickeln kann. Es kann helfen, eben diese ausgewählten Mittel ressourcenorientiert und präventionsorientiert einzusetzen.

EW: Genau so können wir festhalten, dass die Pflege immer im Umgang mit der Umgebung gestaltet wird und die Profession sich darin zeigt das eigene Tun zu analysieren. Die Wirkungen zu erkennen, welcheder Kampagne entsprechend sind und aber auch in der Lage zu sein die Wirkungen zu erkennen die schädigend ausfallen. Auch das ist clever und hilft uns die Mittel immer differenzierter und vielfältiger einzusetzen!

2 Juli 2023|Allgemein|1 Comment

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One Comment

  1. bewegt 5. Juli 2023 at 19:58 - Reply

    Lieber Erich, liebe Barbara,

    danke für Euer Gespräch und das sehr spannende Thema „Rollstuhl“ als Mittel zur Hilfe.
    Ja es sind viele Ansätze, die mich zum Nachdenken anregen. Ich danke Euch sehr!
    Was sind meine Erfahrungen zum Rollstuhl?
    Ich habe einen Kunden, den ich jetzt mehr als ein Jahr zu Hause in der Pflege betreue.
    Eine Diagnose veränderte sein Leben in eine Situation, wo er alles neu lernen musste.
    Nach 8 Jahren Pflege von der Familie kam ich ins Boot. Der Kunde saß tagsüber im Rollstuhl und braucht Hilfe zu allen Fortbewegungen. Zu Beginn konnte er außer den linken Arm, den Kopf und grob den Brustkorb nichts von selbst bewegen.
    Wie nutzen wir, also der Kunde und ich, den Rollstuhl als Mittel zur Ressourcenförderung?
    Ich muss gestehen, dass ich den Rollstuhl schiebe, aber mein Kunde betätigt alle Lichtschalter, steckt das Kabel vom Radio in die Steckdose. Der Fokus liegt darin, dass er den linken Arm und den Kopf in viele Richtungen bewegt und den Brustkorb differenzierter bewegen lernt.
    Die Beine bewegte ich einzeln über Berühren an der Fußsohle einzeln von den Rollstuhlstützen auf den Boden beim Waschbecken.
    Fokus Bewegen der Fußsohle – Förderung der Wahrnehmung im Bein – im Fußgelenk – in welche Richtung das Bein bewegt wird.
    Fokus Bewegen der Beine wahrnehmen – wenn Kunde näher zum Waschbecken sich rollt oder weiter wegrollt.
    Ich biete immer wieder auch meine Oberschenkel an, um seine Wahrnehmung der Beine – Fußsohlen differenzierter zu erfahren.
    Im Wohnzimmer stellen wir den Rollstuhl ein Stück weiter weg um bewusst mit den Beinen zum Tisch zu gehen. Zu Beginn übernahm ich das Gehen seiner Beine. Mittlerweile kann mein Kunde mit dem linken Bein seine Schritte selbst gehen und das rechte Bein nimmt er wahr im Führen beim Gehen.
    Seinen Brustkorb kann er selbst in der Schwerkraft differenzierter bewegen und dadurch sein Sitzen organisieren, in dem er seinen linken Arm nützt und seinen Brustkorb in vielen Richtungen bewegen kann, sodass er sein Becken mitbewegt.
    Es ist immer eine Gesamtheit von vielen Einzelheiten. Sein Lernen beginnt schon im Liegen, beim Rollen und Bewegen. Beim Lernen vom Liegen zum Sitzen und dann Lernen vom Sitzen zum Fortbewegen mit Gehbrett in den Rollstuhl. Beim Selbst waschen und Kleiden, beim gemeinsamen Führen- Folgen im Bewegen. Diese Woche zeigte er mir stolz grobe Eigenbewegung des rechten Armes.
    Der Mensch ist für mich ein Wunder. Schön, dass ich diese Erfahrungen machen darf.

    Liebe Grüße
    S. S.

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